Giraffensprache - Giraffenohren
Konzept für eine lebendige
Kommunikation
Version von 2006
Anmerkung:
Die Verständigung über
"Gefühle" ist voraussetzungsvoll. Ehrlichkeit allein reicht für die
Herstellung von Verständnis selten aus. "Ich-Botschaften" über
Gefühle sind oft nicht leicht von Anklagen und Schuldvorwürfen zu
unterscheiden. Und leicht werden kausale Zusammenhänge
konstruiert. Ein Beispiel: "Wenn Du... bin ich enttäuscht,
wütend...". Die Welt wird unnötig klein, die Vielzahl der Umstände,
in denen ein Gefühl entsteht, gerät aus dem Blick. Ein Problem ist
auch, dass den meisten Menschen nur so wenig Gefühle einfallen (Wut,
Trauer, Enttäuschung, Freude, ...).
In meiner
Seminarpraxis habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gewaltfreie
Kommunikation sich ohne trainierte Gefühlsäußerung gut vermitteln
lässt und gut funktioniert.
Text von 2006
Giraffensprache
Es gibt auf der Welt im
wesentlichen nur zwei Sprachen: die Giraffensprache und die
Wolfssprache. Wolfssprache ist uns allen sehr vertraut.
Giraffensprache können wir (wieder) lernen. So jedenfalls sieht es
der amerikanische Psychotherapeut Marshall Rosenberg.
Dort, wo Sie mit Kritik an
Personen, Selbstkritik, Vorwürfen, Forderungen, Anweisungen, Tadel
oder Lob konfrontiert werden, begegnet Ihnen die Wolfssprache. Sie
eignet sich gut, um Menschen zu analysieren, zu diagnostizieren oder
zu beurteilen.
Wo anschaulich und konkret
erzählt wird, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten ausgedrückt werden,
begegnet Ihnen die Giraffensprache. Giraffen haben ein großes Herz
und guten Überblick. Ihre Sprache eignet sich, einen lebendigen
Kontakt zu anderen herzustellen.
Die
Giraffensprache wird auch als „Gewaltlose Kommunikation“ bezeichnet.
Sie hat eine einfache Grammatik mit vier Komponenten:
Beobachtung: hier geht es darum, Beobachtung von der Bewertung
zu trennen. Wir beschreiben anschaulich, was wir in einer Situation
gesehen oder gehört haben. Wir erzählen.
Gefühle: Wie fühlen wir uns jetzt, wenn wir die Begebenheit
erzählen? Zum Beispiel: Sind wir (noch) traurig, sind wir amüsiert,
freuen wir uns?
Bedürfnisse: Welche Bedürfnisse stehen hinter den Gefühlen?
Beispiel: „Ich bin unruhig, weil ich auf Sie gewartet habe. Es ist
mein Bedürfnis, über meine Zeit frei verfügen zu können. Während ich
warte, kann ich das nicht.“
Bitten: Die Bitten in der „Giraffensprache“ drücken aus, welche
Handlung wir uns von unserem Gegenüber wünschen, damit unsere
Bedürfnisse erfüllt werden. Sie sind auf die Gegenwart bezogen und
konkret. Sie sagen, was wir wollen und nicht, was wir nicht wollen.
Die Bitten lassen dem Gegenüber immer die freie Wahl, die Bitte zu
erfüllen oder nicht. Es wird zudem darauf geachtet, daß die Bitte
vom Gegenüber nicht als Forderung aufgenommen wird
Giraffenohren
„Giraffenohren“ hören nicht auf
Vorwürfe, Forderungen, Anweisungen, Tadel oder Lob. Sie sind darauf
ausgerichtet,
die Gefühle, Bedürfnisse und Bitten
des Gesprächspartners zu hören – selbst wenn diese in
„Wolfssprache“ vorgetragen werden.
Beispiel:
A.: „Meine Schwester ist immer
zu spät. Ihr ist es egal, wie das für mich ist“.
B.: „Sie sind enttäuscht,
„... weil Sie das Bedürfnis
haben, Ihre Zeit möglichst frei gestalten zu können?“ (Bedürfnis
nach Autonomie)
oder: „... weil Sie das
Bedürfnis haben, sich auf eine Verabredung verlassen zu können?“
(Bedürfnis nach Sicherheit)
oder: „...weil Sie einen
guten Kontakt zu Ihrer Schwester wünschen (Bedürfnis nach
Verbundenheit).
Bei dieser „Übersetzung“
der Unmutsäußerungen werden die möglichen Gefühle und
Bedürfnisse im Hintergrund zunächst erraten und weiter erfragt.
Giraffensprache – wozu?
Die Giraffensprache ist eine
Sprache der Verständigung. Sie hilft uns zu sagen, was wir wollen.
Was wir nicht wollen, gibt uns keine Lebendigkeit (Wolfssprache).
Wir wollen wahrgenommen werden,
brauchen Teilhabe, Verständnis und Unterstützung. Dazu gehört,
anderen die Möglichkeit zu geben, Anteil an unseren Gefühlen und
Bedürfnissen zu nehmen. Die Grammatik der Giraffensprache
erleichtert dies. Eigene Bedürfnisse werden gezeigt – aber nichts
wird verlangt. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass andere das,
was sie für uns tun, freiwillig tun. Niemand will beispielsweise,
dass ein anderer ihm nur aus Pflichtgefühl zuhört, oder gar in
Hoffnung auf Belobigung
oder aus Angst vor Bestrafung.
Giraffenohren – wozu?
Mit Giraffenohren können wir
Kontakt zu anderen herstellen, der nicht entsteht, wenn wir
analysieren, diagnostizieren oder urteilen. Und: mit Giraffenohren
unterstützen wir andere, die Giraffensprache zu erlernen und ihnen
die Möglichkeit zu geben, ihre Gefühle und die Bedürfnisse dahinter
wahrzunehmen und auf dieser Grundlage angemessen zu agieren.
Beispiel:
A.: „H. hört mir einfach nie zu.
Das ärgert mich.“
B.: „Sie fühlen sich schlecht (Gefühl),
weil H. Ihnen wenig Aufmerksamkeit gibt (Beobachtung) und Sie
sich mehr Anteilnahme wünschen (Bedürfnis)?“
Die Antwort von B. wirkt etwas
ungelenk, weil sie der Grammatik der Giraffensprache relativ starr
folgt, indem sie Beobachtung, Gefühl und Bedürfnis unmittelbar
anspricht. Aber sie macht deutlich, worauf es ankommt. Im Fokus
stehen nicht mehr die „Fehler“ von H., sondern die Gefühle und
Bedürfnisse von A. Ein mögliches Bedürfnis (Anteilnahme) wird
erfragt oder schon vorsichtig benannt.
Weitere Fragen könnten A.
helfen, noch genauer zu beschreiben,
.... wofür gerade die
Aufmerksamkeit von H. für A. so wichtig ist
... und wie und wann diese am
leichtesten eingeworben werden könnte, bei H. - oder bei anderen
Menschen, die den spezifizierten Wunsch auch erfüllen könnten.
Die Suche nach dem bunten Strauß
an Möglichkeiten, ein Bedürfnis erfüllt zu bekommen, wird so
unterstützt. Unterstützt wird zugleich ein Denken, das ohne
Schuldzuweisung auskommt – und die Chancen erhöht, das eigentlich
Gewünschte zu erhalten.
Der Kontakt zwischen A. und H.
wird so mit etwas Glück von Zielfixierung und Ärger befreit. Es
entsteht Raum für neue Begegnungen zwischen A. und H..
Giraffendialekte
Die Grammatik der
Giraffensprache zeigt die einfache Struktur eines lebendigen
Austausches. Das tolle an dieser Grammatik: sie kann uns helfen,
eine lebendige Sprache zu entwickeln. Wir müssen uns aber nicht an
ihre Regeln halten, um einen lebendigen Austausch zu führen.
Marshall Rosenberg spricht in diesem Zusammenhang von
„Giraffendialekten“ – und nennt das folgende Beispiel:
Er ruft seine Mutter an, die
schon länger auf seinen Anruf gewartet hat. „Hi Mom, hier ist
Marshall“. Die Mutter: „Wer ist Marshall?“.
Diese Antwort kann Ärger
ausdrücken, eine Forderung oder eine Bestrafung sein.
In dem Beispiel war sie aber
Giraffendialekt für ein Gefühl (Sorge), ein Bedürfnis (Sicherheit,
Verbundenheit) und vielleicht eine konkrete Bitte („schau jetzt mal
in Deinen Terminkalender, damit wir ein nächstes Telefongespräch
abmachen können, das auch zustande kommt.“).
WYSiWYG*
Auch Wolfssprache beinhaltet
immer Mitteilungen über die Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche des
Wolfssprachensprechers oder der Wolfssprachensprecherin. Sie ist
also, wenn sie auf Giraffenohren trifft, am Ende auch
Giraffendialekt.
[* WYSiWYG = What You
See is What You Get – Wir bekommen, was wir sehen]
Literatur und Links zur „gewaltlosen
Kommunikation“
Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des
Lebens. Überarbeitete Neuauflage, 2004.
Rosenberg, Marshall B.: Das können wir klären! Wie man Konflikte
friedlich und wirksam lösen kann. 2004.
Phantasiereise zu
lebendiger Kommunikation
Wikipedia zum Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation
Umfangreiche Sammlung von Materialien zum Kommunikationskonzept von
Marshall Rosenberg
www.gfk-training.com/wasistgfk.htm
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